Frank Rumpel

Zeitsturz
 

Sechsuhrfünfundvierzig. Festplatte langsam hochfahren.
Ganz sanft gleitet sie in Position, rastet ein, beginnt zu arbeiten. Letzte Traumsequenzen werden in die nahende Wirklichkeit eingebaut. Hinter geschlossenen Lidern wird die Bettumgebung und die noch schlafende Frau visualisiert. Bettuhr will losweckern, wird aber vorher abgewürgt, um kein mundgeruchfaules Gutenmorgen auf die andere Seite schicken zu müssen. Raus aus dem Bett, ganz langsam. Keine unnötige Matratzenbewegung. Unter der Dusche die stolze Erkenntnis: noch immer nicht viel Fett auf den Knochen, grade mal eine handvoll pro Seite. In der Küche gurgelt die Kaffeemaschine. Haare im Gesicht werden apparativ entfernt, die auf dem Kopf manuell geglättet und gescheitelt. Rasierwasser, Mundwasser, Deo, Parfum. Anzug. Kaffee, Zigarette im Stehen. Magen zuckt. Siebenuhrneunzehn. Treppen runter täglicher Sport, Haustür zu. Mit Schwung ins Auto, Amaturenuhr raunt das Verlangte, goldrichtig wie tags zuvor und davor und los. Radiogeplätscher, die Zeit, es ist genau siebenuhreinundzwanzig. Grüne Welle. An der zweiten Kreuzung die zweite Zigarette des Tages, kurz vor dem Parkhaus ausgeraucht. Kippe planmäßig nach draußen geschnippt. Auto abgestellt. Siebenuhrachtundzwanzig. Pfeifendes Treppenschleppen, am Kiosk die Zeitung, Tür auf und rein. Siebenuhrdreißig. Dreiundzwanzig Stufen nach oben. Sieben Hallos, fünf Guten Morgen. Übervoller Schreibtisch. Computer an. Die neuen Aufträge prüfen. Telefon klingelt. Siebenuhrzweiundvierzig. Regiobank Gummer, Gutenmorgen. Auch das zweite Telefon klingelt Regiobank, Gummer. Die Hörer zwischen den Schulterblättern eingeklemmt. Ja, mmhh, Ja. Zigarette anzünden. Auflegen. Das Gesicht verziehen. Lächeln üben. Telefon klingelt. Ja, Gummer. Schultern verkrampfen sich auf Signal. So lassen wir ihn sitzen bis zur Mittagspause. Zwölfuhr. Zigarette. Aufspringen. Raus. Äquatorhitzige Schweißfalle. Krawatte lockern, Jacket aus, Ärmel hoch und zu Mc Donalds. Big Macs reinburgern. Eiskalte Cola hinterherwürfeln. Rüber ins Bistro. Digitalding überm Tresen. Brüllt Zwölfuhrsiebzehn. Mittagspils. Verdauungszigarette. Blick hängt an Bildschlagzeilen, schweift umher und bleibt an miniberocktem Chanelduft kleben. Kollegiale Berührung. Strahlendweißes Zahnlächeln. Es wird geplauscht, charmeurt, gelacht, sich nähergekommen und ein Termin für den nächsten Abend vereinbart. (Du Schatz, ich muß länger arbeiten heut abend. Da kommen die Sachen aus Frankfurt rein und müssen sofort bearbeitet werden.) Handgelenkszwölfuhrzweiundvierzig. Leer trinken, rüber, klimakühles banken.
Sechzehnuhrschluß. Mit Kollegen Markus und Rolf noch auf ein Bistrobier oder zwei. Siebzehnuhrdreißig die Lokalität gewechselt. Tellergericht und ein Restaurantbier oder zwei. Neunzehnuhrfünfzehn. Schon so spät. Hallo Schatz, ich hatte noch ein Arbeitsessen. Ließ sich nicht vermeiden. Verwischtes Guten-Tag-mein-Name-ist-Gummer-was-kann-ich-für-sie-tun-Lächeln. Schwimmpupillen. Faulfrischer Pfefferminzatem. Schatz blitzt durch ihn hindurch und schwingt nach draußen. Kühlschrankkühles Bier in die Hand. Hinterher. Was ist denn los Schatz. Nichts, S-c-h-a-t-z. Schulterzucken. Hopfen beruhigt. In der Küche stehen und glotzen, bis es von allen Wänden achtuhrt. Fernsehen, Zigarette an. Erlösende Nachrichten. Bier. Wirtschaftsmagazin. Bier. Umschalten. Schatz schält Äpfel, schneidet Schnitze, ißt blickstarr, hört seine Finger nach der Fernsehzeitung tasten, ein Rascheln, als er sie hat und ein Aufschrei, als die Klinge im Handrücken steckt. Schatz schaut auf lächelt. Er glasaugt zurück, fassungslos. Dazwischen das Messer im Fleisch wie dazugehörig, wie gewachsen. Schatz dreht es einmal um. Sein Schrei greift an die Zeiger und schiebt sie an. Sie zieht es raus, ganz ruhig und hält es hoch überm Kopf. Leises Kinderwimmern legt sich auf den Tisch. Fernsehuhr  tickt auf heute-Journal zu. Einundzwanziguhrfünfundvierzig. Guten Abend, meine Damen und Herren. Das Handloch, die Fernsehzeitung blutig. Apfelschalen drumherum. Hör auf zu heulen, Waschlappen. Die Augen kalt zu Schlitzen gepreßt. Die messerumfassenden Knöchel weißen sich. Aber...aber... Einundzwanziguhrsechsundvierzig. Du widerst mich an, s-c-h-a-t-z.
 
 

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