Norbert Hintersteininger
Hoffnung ist
der Welten Hohn
Es war ein verdammt heißer
Sommernachmittag. Seit Tagen übertrafen sich die Wetterdienste mit neuen Temperaturhöchstwerten.
Mit jedem weiteren ansteigenden Grad Außentemperatur sank meine Verfassung einem
neuen Nullpunkt entgegen. Stimmungstief im Klimahoch, raste es durch mein Schlagzeilenhirn.
Heute weiß ich nicht mehr, was mich in die Stadt trieb. Schließlich war Einkaufsamstag
und ich hasse Einkaufsamstage. Wild gewordene, kaufhungrige Menschenmassen zwängten
sich durch die Gassen und Straßen, in Shops und Kaufhäuser, füllten Einkauftaschen
und Papiertüten. Willenlos ließ ich mich von der Menge durch die Stadt schieben.
Widerstandslos. Widerstand ist zwecklos, dachte ich, als ich vor einem Schaufenster
mit Fernsehgeräten zu stehen kam. Dort tanzte auf verschiedenen, hoch aufgetürmten
Modellen schon wieder ein mediengerechter Wetterprophet stumm seinen Regentanz
hinter der Glasscheibe des Elektrogeschäfts, verschob kleine Plastiksonnen auf
einer Landkarte und wetterte eifrig gegen die Schweißtropfen auf seiner Stirn.
Vierundvierzig Grad Celsius blinkte es auf den Bildschirmen, als sei damit ein
kritischer Grenzwert erreicht. Vierundvierzig Grad kroch der neue Höchststand
langsam in meinen träge gewordenen Kopf. Zäh wölbte sich mein Spiegelbild über
den flimmernden Bildschirm hinter dem Schaufenster. Abgekämpft siehst du aus,
dachte ich, das verzerrte Bild meines Gesichtes im gebogenen Glas anstierend.
Das Leben führt Krieg gegen deine Jugend. Die Welt dampft im Sumpf des Überlebenskampfes.
Vierundvierzig Grad Celsius blinkten warnend auf dem Bildschirm. Bei zweiundvierzig
Grad stirbt das Gehirn, dachte ich. Mehr als zweiundvierzig Grad Körpertemperatur
erträgt unsere Walnuß nicht. Bei zweiundvierzig Grad kollabieren die Gedankenschlangen,
da stürzen die Gedankenstollen ein und verschütten unseren Menschen in dem Bergwerk
des Erkennens. Und schon wurde mir schwarz vor Augen und ich ging vor dem flimmernden
Regentänzer zu Boden.
Was ist mit ihnen, rüttelte mich hektisch eine freundliche Männerstimme. Ist
wohl ein wenig zu heiß geworden, zupfte mich jemand kichernd an meinem Hemd,
als ich wieder zu mir kam. Ich schaute zu der Stimme und traute meinen Augen
nicht: Ein winziger Mann, ein Liliputaner, ein Zwerg von maximal fünfzig Zentimeter
Körpergröße mit einem viel zu großen Kopf rüttelte mich, grinste dabei freundlich
und plapperte munter drauf los. Ist ihnen die Hitze in den Kopf gestiegen? Ist
ja auch kein Wunder, mein Herr, wir haben die höchsten Temperaturen, die je
ein menschliches Thermometer in unseren Breiten messen konnte. Dafür sind wir
nicht konstruiert. In unserem Bauplan ist kein geeignetes Kühlsystem vorgesehen,
mein Herr, für solche Temperaturen. Während der Zwerg plapperte und mit seiner
hellen Stimme von Temperaturen und Meßwerkzeugen palaverte, schoben sich die
kaufwütigen Menschen an uns vorbei, so als würden sie uns nicht sehen. Niemand
blieb stehen. Kein Mensch schien uns zu bemerken.
Sie müssen sich einer Untersuchung unterziehen, mein Herr, damit wir feststellen
können, ob ein Schaden in ihrer Körperlichkeit zu finden ist. Damit ist kein
Spaß zu treiben, mein Herr, mit dem Schwindel und der Ohnmacht ist kein Schabernack
zu machen. Die haben ihre Ursächlichkeit oft an den geheimsten Orten in den
Körperschränken versteckt. Da muß man im eigenen Interesse einem Spezialisten
Einblick gewähren in die Heimlichkeit, der für das Laienauge unheimlichen Innerlichkeit.
Ich saß auf der Straße und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Der Zwerg nahm
mich bei der Hand und machte Anstalten, mich aufzuziehen. Verrückter kleiner
Mann, dachte ich, wie sollst du mich hochziehen können, bei deiner Körpergröße.
Doch es funktionierte. Ein eigenartiges Gefühl machte sich in meiner Magengrube
breit, als ich wie von Geisterhand auf meine Füße gestellt wurde. Sie müssen
ihre innersten Körperorgane einem Fachmann in Augenschein geben, faselte der
Zwerg noch immer von einem Arztbesuch. Sie müssen ihre Innereien öffnen für
einen prüfenden Einblick, mein Herr, im Sinne der körpereigenen Interessensgemeinschaft
ihrer Lebensgeister müssen sie sich einem eingehenden Testverfahren hingeben.
Energisch nahm er meine Hand. Ich werde mir die Ehrwürdigkeit nicht nehmen lassen,
ihnen, mein Herr, einen mir bestens bekannten Spezialisten für schadhaft gewordene
Lebensfunktionsorgane vorzustellen. Bei ihm sind sie in der Sicherheit der besten
Hände aufgehobe. Eine Kapazität, ein Kapazunder, kann man sagen. Und während
er weiterplapperte und von einem ihm bekannten Privathospiz erzählte, zog er
mich durch die städtische Ansammlung menschlicher Namenlosigkeit Ich weiß nicht
warum, aber ich ließ es mit mir geschehen. Die Hitze erstickte bereits jeden
Gedanken an Gegenwehr. Ich hatte keine Kraft, mich zu widersetzen.
Was ist das nur für ein Tag, versuchte ich Ordnung in das Durcheinander meiner
Fragen zu bringen. Der Winzling grinste und plapperte, als würde er um sein
Leben reden. Warum wundert sich niemand über diesen freundlichen Zwerg, dachte
ich. Warum dreht sich keiner um. Der muß doch auffallen. So ein großer Kopf
auf einem so kleinen Körper muß Aufsehen erregen, dachte ich. Doch niemand schien
uns zu sehen. Willenlos ließ ich mich ziehen. Achtung Stufe, schrie er herauf
zu mir, als er mich über drei Steinstufen zog. Da sind wir schon., mein Herr.
Wir müssen noch auf die andere Straßenseite, da drüben ist das Hospiz. Und schon
zog er mich über den Zebrastreifen auf die andere Seite, auf ein großes, gelbes
Haus zu.
Die in der Julisonne golden schimmernde Villa war eine kleine Insel in dem Häusermeer
der Stadt, die kleinen Türmchen mit ihren roten Kupferdächern durchbrachen eigenwillig
die kalte Front der glatten Fassaden aus Glas und Metall. "Hospiz für Volksfürsorge
und eine gesunde Gesellschaftsordentlichkeit" stand in schwarzen Serifen auf
einer glänzenden Messingtafel. Da sind wir, mein Herr, hier sind wir richtig,
hier sind sie für eine Besserung bestens aufgehoben. Ferngesteuert ging ich
durch einen gepflasterten Vorhof, vorbei an gewissenhaft gepflegten Blumenbeeten,
auf die Eingangstür zu. Nur hinein, nur hinein, mein Herr, schrie mir der Liliputaner
nach. Ich drückte die schwere Gußeisenklinke eines reich verzierten, altersschwarzen
Holztores. In der Tür drehte ich mich nach meinem kleinen Begleiter um, doch
der Zwerg war verschwunden. Komischer Kauz, dachte ich und ging hinein in einen
kühlen Vorraum. Als ich die Tür hinter mir schloß, war kaum noch Licht in dem
angenehm temperierten Raum. Dunkle Ölgemälde in wuchtigen Goldrahmen glaubte
ich zu erkennen, doch ich sah nicht, was sie darstellen sollten. Für Inhalte
war zu wenig Licht. Für die Details reicht unser Augenlicht nicht, dachte ich.
Wir erkennen die groben Zusammenhänge, wir sehen die Umrisse, und die Feinheiten
fallen auf einen blinden Fleck. Für die Nuance reicht unser Menschenlicht nur
selten, dachte ich.
Auf der anderen Seite des Raumes glaubte ich eine Tür auszunehmen. Unsicher
ging ich darauf zu. Plötzlich leuchtete ein kleiner Scheinwerfer auf und ließ
eine Blechtafel im Spot der Glühbirne erstrahlen. "Wartezimmer" reflektierte
das künstliche Licht. Ein Leben lang warten wir darauf, aufgerufen zu werden,
dachte ich, und wenn wir an der Reihe sind, sind wir zu Tode erschrocken.
Ich klopfte. Keine Antwort. Also trat ich ein. In hartem Kontrast zu dem düsteren
Vorzimmer tat sich ein helles Zimmer auf: Klinisch weiße Wände, steriles Neonlicht,
und der Boden erstrahlte in keimfrei geschrubbten Plastikfliesen. Guten Tag,
grüßte ich die wartenden Menschen. Guten Tag, hallte es in vierfachem Echo zurück.
Ich suchte mir einen Platz auf der Holzbank, die das Zimmer an der Wand entlang
um ein quadratisches Tischchen in der Mitte des weißen Raumes umrundete. Auf
dem Tisch lag ein Stapel Zeitschriften. Ich saß gegenüber der Tür. Auf der linken
Seite des Raumes hockte eine mittelgroße, dicke Frau um die fünfzig, ihr weiches
Gesicht in einem Hochglanzpapier mit der Aufschrift "Lebensglück für Sie" versenkt.
Die Frau saß still und bewegungslos, in dem Magazin blätternd, auf der dürftig
gepolsterten Holzbank. Ab und zu begann ihr Kleid mit dem dunkelroten, rostbraunen
und dottergelben Blumenmuster leise zu hüpfen, um sich langsam zu einem heftigen
Beben zu verstärken und ein krächzendes, abgehacktes Kichern pulsierte aus ihrem
fülligen Körper. krch, KRCH, KRCHCH prustete sie dann und schüttelte ihren langsam
rot werdenden Kopf. Und so leise wie sich Beben und Kichern anschlichen, so
leise verschwanden sie auch wieder aus dem weißen Zimmer, um sich ein paar Minuten
später von neuem vorsichtig in den sterilen Raum zu stehlen. krch, KRCH, KRCHCH.
Der Mann ihr gegenüber schüttelte nach dem fünften oder sechsten Mal heftig
den Kopf und verzog hinter einer dicken Brille seine grimmige Miene zu feindseligem
Aussehen.
Was sind das denn für Störungsvorfälle, die sich da der Lesestille bemächtigen
und meiner Konzentration die Geduld stehlen, polterte er plötzlich. Das kann
doch nicht die Ernsthaftigkeit sein, die hinter dem lustigen Gekicher stecken
soll, das sich aus ihrem Schundexistenzialismus herauszwängt und dieses hochehrwürdevolle
Gebäude in die Schandhaftigkeit der Ihrigen Lächerlichkeit hineintaucht.
Mit hochrotem Kopf versenkte die Frau ihr freundliches Gesicht hinter der Zeitung
und versuchte sich erschrocken und hilflos zu verstecken.
Na, na, na - mal langsam, der Herr, kam ihr ein junger Mann zu Hilfe. Er war
für diese Temperaturen äußerst unpassend, für ein elegantes Auftreten allerdings
besonders vorteilhaft gekleidet: Dunkelgrauer Anzug, mit Gilet - allerdings
nicht mehr zugeknöpft, ein hellblaues Hemd, faltenfrei gebügelt, der oberste
Knopf geöffnet und eine dunkelblaue Krawatte, die, ebenfalls vor der Hitze kapitulierend,
leger vom Hals baumelte.
Welche Freiheitlichkeit steckt denn in seinem schändlichen Innersten, die er
da herausläßt aus der frechen Erscheinung, herrschte ihn der grimmige, jagdgrün
gewandete Mann an. Sie Alterslastenmensch, brauste der junge auf, nehmen sie
ihre Unart beim Zügel und geben sie dem Anstand die Sporen.
Das ist ja eine Unerhörbarkeit für mein altgedientes Gehör. Wenn er nicht sein
schändlichstes Maul in einen Maulkorb steckt und die eigene Liederlichkeit in
der Auskeimungszelle erstickt, wird er die Redlichkeit meiner Gerechtigkeit
mit der meinigen Hand in seine Erfahrungssammlung eingliedern können.
Ach was, winkte der junge Mann ab, da stülp ich sicher keine Worthülse mehr
über die nackte Gewalttätigkeit dieser grünen Altersschwachheit. Das könnte
dieser Greisenexistenz nur so passen, daß sich meine Jugendlichkeit an seiner
altersbedingten Unverschämtheit verbrauchen möchte.
Der alte Mann drohte zu platzen. S I E, fuhr er hoch, wurde aber jäh von einem
schrillen Lautsprecherton unterbrochen. Das Pfeifen schmerzte in den Ohren.
Der nächste bitte, pfiff die schwarze Membran in grellem Ton.
Na der nächste bin ja wohl ich, wenn man in diesen Sauhaufen der Unverschämtheit
eine gesittete Ordnung hineinbringen will, schrie der jagdgrüne Alte noch immer
aufgeregt, seine Zeitschrift auf das Tischchen in der Mitte werfend. Der Junge
starrte ihn ungläubig an und zog, Aufgebrachtheit und Ärger effektvoll in das
klinische Weiß des Volkshospizes schnaubend, an seiner Krawatte, um den schweißtreibenden
Knopf noch weiter zu lockern. Und während der Alte aufgeplustert zur Tür stolzierte,
versuchte sich das dicke Blumenmuster, das "Lebensglück für Sie" vor den schamesroten
Kopf schiebend, hinter dem Hochglanzpapier zu verstecken. Laut knallte die Tür.
Der elegante Anzug schüttelte seine ungläubige Erstarrung ab, schüttelte den
Kopf, ein abfälliges "Alterstrottel" brummend.
krch, KRCH, KRCHCH, versuchte die Frau mit dem freundlichen Gesicht ihrer Verlegenheit
Luft zu verschaffen. Alle sahen sie an. Sie richtete sich auf und zupfte ihr
Blumenmuster zurecht. Meine ganze Dankbarkeit versucht Ihrer helfenden Hand
die nötige Schuldigkeit zu tun, flüsterte sie schüchtern. Alterstrottel, war
alles was dem Jungen einfiel.
Das war aber jetzt eine unverschämte Unerhörtheit, die sich aus diesem jungen
Peinlichkeitsmenschen ergoß, meldete sich zum ersten Mal der kleine, untersetzte
Mann in brauner Cordhose und grauem Kurzarmhemd mit einem linkischen Grinsen
zu Wort.
Wie meinen, der Herr?
Was denn, wie meinen, der Herr, presste der dickliche Brillenträger aus seinen
Zahnspalten. Ich konnte ja auch nicht in jedem Punkt eine Übereinstimmung mit
meiner Vorstellung von Richtigkeit in der Wortversammlung des jagdgrünen Herren
auffinden.
Na dann schönen Dank für die Unterstützung, meinte der tip-top-gedresste junge
Mann zynisch.
Zum ersten ist es nicht gut, in einer aufgeheizten Anspannung ein Scherflein
nachzulegen, denn das könnte den Funken in das falsche Faß zum Überspringen
bringen, und zum zweiten muß die jugendliche Unwissenheit dem natürlichen Ordnungssinn
der Dinge Gehör schenken und vor den Kriegern des Alters eine weiße Kapitulationsfahne
aus den zerbombten Schützengräben des Lebens schwenken.
Mit vollkommener Verwunderung starrte der junge Anzug auf das durchtrieben wirkende
Gesicht krch, KRCH, KRCHCH, durchbrach die freundliche Frau eine spontane Stille
des Verblüfftseins ob dieser Erklärung. Auch der junge Mann begann zu lachen.
Das ist keine Lächerlichkeit, die sich da meinem Mund eurer offensichtlichen
Unwissenheit Gehörigkeit verschafft hatte, nein, nein, mein Herr, das ist der
Lebensweisheit erster Schuß auf die Gemeinschaftlichkeit einer menschlichen
Ansammlung.
Letzter Schluß, meinen der Herr, letzter Schluß.
KRCHCHCH. Nein mein Herr, erster Schuß, mein Herr. Denn das sagt einer jeden
feinfühligen Koexistenz schon der leiseste Versuch eines menschlichen Regungsaustausches,
daß nur weise ist, wer schweigt, wenn es die Notwendigkeit einer Situation erfordert,
damit das Zusammenleben versilbert werden kann.
Und wann, weiser Herr, ist der letzte Schluß dann notwendig, spottete der junge
Mann. Das sehe ich schon, daß sie ein ganz und gar unwissender Heißsporn sind,
mein Herr, ein gutaussehender, meinetwegen, ein gutgetarnter, von mir aus -
aber trotzdem ein ganz und gar unwissender Heißsporn, mein Herr.
Schweigen ist der Lebensweisheit erster Schuß, lachte der Anzug auf. KRCHCHCH.
Ja, mein Herr, sie werden das nicht glauben wollen, doch d a s ist der Lebensweisheit
letzter Schuß: Es fällt nicht oft in den Zuständigkeitsbereich einer Menschenperson,
das Maul aufzumachen, vor allem nicht, wenn eine Altehrwürdigkeit damit im Redefluß
der Lebenserfahrung zu einem mächtigen, zornesgerechten Meeresstausee aufgestaut
wird. Denn jeder Schuß ein Genuß und jedes Wort ist unerhort - wie uns die Alten
sungen.
Und deine Fresse traf sie hart, intonierte der junge Mann, drohend seine geballte
Faust schüttelnd. Unerhört, du Weisheitsidiot! Und sangen, sagt man, oder gesungen
hatten, meinetwegen, aber sicherlich niemals sungen.
Jetzt wird ihm aber ein guter Rat im billigen Abverkauf anvertraut, wenn ich
ihm sage, daß er die Notbremse ziehen muß, wenn er noch einen kleinen Rest seiner
Person im Spiegelbild erkennen will. Wie sehen das der Herr, wandte er sich
zu mir, Unterstützung erwartend. Puh, blies ich die Unsicherheit aus meinem
Leib. Ich weiß nicht recht, faselte ich, ich weiß nicht, der alte Mann war doch
etwas - sagen wir - vermessen. Vermessen! Ich bitte sie, mein Herr, das hätte
ich mir von ihnen nicht erwartet, daß sie sich einer solchen Anmaßung unterjochen.
Maßlos - mit Verlaub - ist ihre Selbstüberschätzung. Maßlos und unermesslich!
Die Frau im Blumenkleid hielt kurz die Luft an, sah von ihrem Hochglanzmagazin
auf. Sah den jungen Mann an. Ein leises Zucken machte sich um ihre fröhlichen
Augen an der ernsten Miene zu schaffen. Das Gesicht des Mannes im Anzug verzog
sich ebenfalls langsam zu einem breiten Grinsen. Plötzlich - KRCHKRCH - brüllten
beide los.
Warum sind sie eigentlich hier, lachte er.
Ein gigantischer Quizmoderator in silbernen Schuhen und pinkfarbenem Hawaihemd
führte mich her, sagte sie nach einer kurzen Nachdenkpause.
Ein Showmaster, fuhr ich verwundert auf - meine richtungsweisende Begleitung
war ein Zwerg. Ein hektischer, lustig plappernder Zwerg.
Ein Zwerg, lachte der junge Mann und versteinerte im gleichen Augenblick. Sie
werden es wahrscheinlich nicht glauben. Sie werden mich für verrückt erklären.
Mir half ein stinkender, zerlumpter Leichnam auf die Füße. Da grausts mir jetzt
noch bis zum auswendigen Herausspeiben meiner Inwendigkeit, wenn ich an den
Totengestank denke, den die verfaulte Alptraumfratze verströmte. Aber ich war
ja in einer ferngesteuerten Hilflosigkeit, wie in einer hypnotischen Betäubung.
Jetzt schleicht sich aber ein neugieriges Interesse in meine Aufmerksamkeit
hinein, wer denn der Wegweiser unseres standhaften Unzeitgenossen war, deutete
der junge Anzug nach einer kurzen Pause auf das linkische Grinsen.
Meine Hostessenerscheinung werde ich doch sicher nicht auf die Nasenspitze dieser
neugierigen Jugendlichkeit binden.
Weiß einer, warum wir eigentlich hier sind, versuchte ich abzulenken.
Ich weiß ja nicht einmal, was das für ein Bauwerk ist, in dem sich unsere Menschen
einer Rivalität hingeben.
Ich ertrug die Hitze nicht, mir wurde schwarz vor Augen. Als ich wieder aufwachte,
war der Zwerg bei mir.
Ich wurde auch ohnmächtig.
Ich auch.
Daß ich ohne Macht über meine Körperlichkeit zu Boden sank, kann ich der wartenden
Gemeinschaft wohl anvertrauen.
Dann sagt er uns jetzt vielleicht auch noch wer ihn herbrachte?
Der nächste bitte, pfiff
der Lautsprecher wieder, die Auseinandersetzung unterbrechend.
Da wird die geheimnisvolle Begleitperson wohl in seiner Körpergrube verborgen
bleiben, weil ich, die bohrende Nebenexistenz, der nächste bin, schritt der
junge Mann im sauber gebügelten Anzug zur Tür, während er das Sakko lässig auf
dem Zeigefinger über der Schulter baumeln ließ.
Unerhörtes Jugendleben. Das kann keine richtige Menschenperson werden, wenn
sich eine solche Frechfotzigkeit breit macht in der unverbrauchten Körpergrube
einer leidlichen Jugendexistenz.
Er wollte doch nur wissen, wie sie in dieses Haus kamen, suchte ich nach Worten.
Aber das kann doch keine Unglücksperson von mir verlangen, daß ich meine Geheiminsbegleitung
in die Öffentlichkeit einer Versammlung hineinplärre. Da würde ich ja meiner
ungeborenen Zukunftsentwicklung schon die lebendige Blutschnur abschneiden,
bevor sie richtig auf die Welt geschmissen werden konnte, zu meiner eigenen
Bestimmung. Es ist außerdem eine Pflicht einer jeden wissenden Person, daß sie
diesen verirrten Existenzen eine richtungsweisende Korrektur zukommen lassen,
zur Rettung ihrer Befindlichkeiten. Doch die Weisheit meiner Worte zu erkennen,
ist nicht jedermann gegeben. In aller gottesfürchtigen Bescheidenheit: Es glänzt
nicht alles Gold der Welt.
Langsam bemächtigte sich eine unangenehme Stille des sterilen Raumes. Bald wurde
die Frau im Blumenkleid aufgerufen, kurz darauf das linkische Grinsen aus dem
Raum befohlen. Nun saß ich da. Allein in einem blitzblankgeschrubbten, weißen
Zimmer. Hell erleuchtet in kaltem Neonlicht. Schwitzend tanzte der plappernde
Zwerg vor meinen geschlossenen Augen. Der nächste bitte, befahl mich die pfeifende
Lautsprecherstimme aus dem Warteraum. Erschrocken sprang ich auf. Wie lange
hatte ich wohl geschlafen? Vorsichtig öffnete ich die Tür, durch die ich den
Raum zuvor betreten hatte. Doch zu meiner Überraschung war der Vorraum nicht
mehr von düsterem Licht verhüllt. Grell leuchteten jetzt weiße Wände in keimfreiem
Kunstlicht. Und wo ich beim Eintreten Bilder vermutet hatte, waren keine schweren
Goldrahmen, sondern frisch polierte Blechtürstöcke.
Angst schlich sich in meine Glieder. Der rechtwinkelige Vorraum war rund geworden.
Ich stand da, sechs metallkalt glänzende Türen anstarrend. Zaghaft ging ich
auf eine zu, um die Buchstaben auf dem Türschild entziffern zu können. "Staatskanzler",
war dort mit weißen Plastikbuchstaben auf eine schwarze Schiene gesteckt und
"Zutritt für Betriebsfremde verboten". Das war zuviel. Panisch stürmte ich zur
Eingangstür, riß sie auf - doch hinter der Tür war nicht der Vorhof mit dem
kleinen Blumengarten: Ich öffnete die Tür zu einer Beamtenstube. Aktenberge,
Bücher, Papierstapel. Ich schlug die Tür wieder zu und las das Schild: Ministerium
für innere und äußere Ordentlichkeit.
Waren sie schon im Ministerium für Vergangenes, rempelte mich ein älterer Mann
forsch von hinten an. Nein, machte ich ihm eingeschüchtert den Weg frei. Auch
sie haben sich hier, in diesem hohen Haus, an das von den Haushaltsvertretern
einstimmig abgefassten Ordnungsstatut zu halten, verdammt noch eins. Also orientieren
sie sich gefälligst an den Amtswegen und melden sich im Vergangenheitsministerium.
Er schrie's und war hinter der Tür verschwunden.
Vergangenheitsministerium rumorte es in meinem Kopf. Kannte ich den Mann? Irgendwie
kam mir das Gesicht bekannt vor. Nervös marschierte ich durch das Vorraumrund:
Ministerium für Zukünftiges, Staatskanzler, Ministerium für Vergangenes. Da
war die Tür. Vorsichtig klopfte ich. Nur herein, mein Herr, nur hereinspaziert
hörte ich eine bekannte Frauenstimme. Hinter der Tür: ein schummriges Zimmer.
An den Wänden war ein Bild neben dem anderen angenagelt, eins über dem anderen.
Die Mauern waren voller Fotos, Bilder und Erinnerungsgegenstände. Blaue Rauchschwaden
hingen unter der Decke. Nur herein, nur hereinspaziert - nicht so schüchtern,
qualmte die Frau mit samtiger Stimme, nehmen sie Platz. Wo bin ich hier fragte
ich, schüchtern vor einem vollgeräumten Schreibtisch sitzend. Nicht das Wo,
mein Herr, nicht das Wo ist in unserem Ministerium von Interesse, sondern das
Wann. Auch nicht das Wie oder das Warum, mein Herr, ausschließlich das Wann.
Weil das Wann die zentrale Frage ist: Wann wurden sie geboren, wann haben sie
gelebt, wann werden sie sterben. Verstehen sie. Alles andere ist nur Füllung.
Das Wann ist der fette Schweinsbauch, mein Herr - Warum, Wo und Wie sind nur
die Semmelfülle. Also!
Die Stimme kenn ich, dachte ich.
Ich erwarte eine Antwort. - Wann wurden sie geboren?
Ich weiß nicht recht, es ist zu lange her.
Ich bitte sie - das weiß doch jedes Kind.
Jedes Kind vielleicht. Kinder können sich da besser erinnern.
Fragen wir eben anders, mein Herr: Wann haben sie gelebt, hüllte sich die freundliche
Frauenstimme in eine dicke Zigarrenrauchschwade.
Ich habe lange nachgedacht, gnädige Frau. Es tut mir leid - ich weiß es nicht.
Aber das gibt's doch nicht, mein Herr, sowas kann es einfach nicht geben.
Heute morgen hätte ich das auch noch gesagt. Heute morgen hätte ich vielleicht
noch gewußt ,wann ich gelebt habe, gnädige Frau.
Und jetzt haben sie's vergessen, stand sie auf, um mich mit dem glühenden Punkt
zwischen ihren Fingern zu umkreisen.
Jetzt hab ich es vergessen.
Da werden wir wohl der müde gewordenen Erinnerungsmöglichkeit ein wenig auf
die lahmen Beine helfen müssen. Sie kramte in einem Regal voller Mappen, Zettel
und Notizbücher Dann zog sie einen dicken Ordner heraus, blies den Staub vom
Rücken und ließ ihn auf meinen Schoß fallen. Sehen sie schon rein, mein Herr,
sehen sie hinein! Bilder von mir, dachte ich. Was machen sie mit all dem Datenmaterial?
Das holt sich der Minister für innere und äußere Ordentlichkeit.
Ich starrte auf Fotos, Zeugnisse, Urkunden, Meldezettel. Warum fragen sie eigentlich,
wenn sie ohnehin alles wissen?
Es ist von außerordentlicher Wichtigkeit, daß sie sich erinnern - für jede Erinnerung
gibt's einen Siegpunkt.
Was gewinnt man denn, mit den meisten Punkten?
Es gibt keinen Gewinner.
Hätte mich auch gewundert. Die Erinnerung ist doch nur ein schales Wasser, ein
Schnaps ohne Alkohol, eine Sauferei ohne rechten Rausch. Die Vergangenheit ist
doch nur eine luftleere Blase in unserem alterskranken Gedankenhirn. krch, KRCH,
KRCHCH, schlich sich leise ein wohlbekanntes Kichern in das Ministerium.
Natürlich kenne ich diese Stimme, dachte ich. Und der Ordnungsminister ist der
jagdgrüne alte Mann, schoß es durch meinen Kopf. Kennen sie mich denn nicht,
schrie ich erleichtert. KRCHCH...die Vergangenheit, lachte sie, ist eingewickelt
in ein zuckerlrosarotes stanniolpapier und wird von jeder rechten Menschenseele
andächtig in den Saumagen hineingelutscht.
Jetzt können aber sie sich nicht richtig erinnern, gnädige Frau, lachte ich
mit, das ist ja eine spaßige Überraschung, die sie da für mich eingepackt haben.
Das ist kein Spaß und keine Überraschung. Ich kenne nicht sie, nur ihren Lebensordner.
Aber wir sind doch...
Jetzt darf ich aber bitten, daß sie meine Gedankenkrücke unter den Arm klemmen
und meine Frage beantworten - ihre Zeit läuft, unterbrach sie mich rüde.
Wohin muß ich jetzt gehen, fragte ich abgekämpft, nachdem ich zur Zufriedenheit
der Ministerin ihre Fragen mühsam beantworten konnte.
Wohin sie wollen. Nur im Ordnungsministerium ist man erpicht auf den richtigen
Amtsweg. Von mir aus gehen sie wohin sie wollen. Schönen Tag noch.
Zum Abschied hüllte sie mich noch in eine dicke Rauchwolke. Neugier wich der
Angst - es zog mich zur Staatskanzlei. War der junge Mann aus dem Warteraum
zum Staatskanzler geworden? Ich bin kein Betriebsfremder mehr, entschuldigte
ich mein Klopfen. Keine Antwort. Ich öffnete. Ein kleines Männchen fuhr unter
lautem Glockenrasseln von seinem Schreibtisch auf.
Entschuldigen sie die Störung.
Sie stören nicht, mein Herr, sie stören gewiß nicht.
Darf ich eintreten.
Natürlich dürfen sie.
Aber draußen steht doch...
Ach das hat mir der Ordnungsminister an die Tür gehängt, er gehört einer anderen
Fraktion an, müssen sie wissen. Ich, der Staatskanzler, ernenne sie hiermit
zum Betriebsbekannten - also treten sie ein.
Sie sind tatsächlich der Staatskanzler?
Natürlich. - Was verwundert sie?
Aber.. Ihre Kleidung...
Berufsuniform, sagte er kurz und machte ein paar Luftsprünge .
Entschuldigen sie wenn ich lachen muß, kicherte ich, aber ich hab noch nie einen
Staatskanzler in einem Kasperlkostüm gesehen.
Wirklich nicht, fragte er ernst, hüpfte in die Luft und klatschte mit seinen
Fußsohlen. Aufdringlich schepperten die vielen Schellen an seiner Zipfelmütze,
starr grinste die buntgeschminkte Maske.
Wirklich nicht, lachte ich laut auf, seit wann trägt man das im Kanzleramt.
Seit Menschengedenken, hüpften die Glöckchen an dem blau-rotgestreiften Kostüm.
Und wenn sie möchten, können sie an meiner statt diese ehrwürdige Aufgabe übernehmen,
wir haben sicher eine passende Uniform im Fundus...
Danke, aber das ist nichts für mich. Da fehlt mir die nötige Ausbildung.
Aber nein mein Herr. Ausbildung! Sie müssen nur die Menschenrechts-Charts auswendig
lernen und bei jedem öffentlichen Auftritt einen Hit daraus aufsagen. Das ist
alles. Und ein bißchen springen müssen sie dabei. Sehen sie, so etwa...
Das ist alles?
Das ist alles. Etwa einmal im Monat lassen sie sich eine neue Menschenrechtsbefindlichkeit
einfallen und mit ein bißchen Glück wird ihre neue Schöpfung ein richtiger Hitparadenstürmer
und bekommt vielleicht sogar den ersten Platz in den Menschrechts-Charts. Wir
werden gleich eine passende... Welche Größe haben sie?
Nein, ich denke dieses Amt ist nichts für mich. Danke für Ihre Freundlichkeit,
aber danke nein.
Dacht ich mir, riß der Kasperl die Maske von seinem verschwitzten Gesicht. Die
Larve entpuppte ein fremdes Gesicht.
Warum haben sie sich denn des Amtes angenommen, fragte ich verstört.
Eine Jugenddummheit, verstehen sie, ich wußte nicht, was auf mich zukommt. Und
als der Ordnungsminister erfahren hatte, daß ich amtsmüde bin, hängte er mir
das "Betreten Verboten"-Schild an die Tür. Kann ich irgend etwas für sie tun?
Das fragt einer, dem ich helfen soll. So ist unsere Welt. Nein, mein Herr, sie
können nicht. Na, dann werd ich wieder gehen, drehte ich mich zur Tür und verdrückte
mich. Der junge Mann ist offenbar Zukunftsminister geworden, dachte ich. Vorsichtig
öffnete ich die Tür des Ministeriums. Kalter Wind blies mir ins Gesicht. Da
lag sie, die Jugend: Bestens gekleidet und gebettet auf weichen Kissen, ohne
Farbe im Gesicht, geschmückt mit weißen Margeriten - aufgebahrt in einem kleinen
Zimmer. Das kann nicht wahr sein. Verrückte Gedanken kreisten in meinem Kopf.
Was ist ihm nur passiert. Ich stand da, verzweifelt und verwirrt, allein mit
einem jungen Leichnam in dem kleinen Zimmer des Todes. Plötzlich schlug die
Tür auf. Linkisch grinsend, gehüllt in schwarzen Talar, betrat der Mann mit
dem runden Gesicht das Zimmer, mit einem Wedel Wasser auf dem Toten verspritzend.
Was ist mit ihm passiert, schrie ich ihn an.
Beherrschung sei mit dir.
Ich will mich nicht beherrschen, schrie ich außer mir vor wütender Hilflosigkeit.
Jugend ist eine unverwundbare Zier, war er überzeugt, das hat ihm den Tod gebracht.
Aber das kann doch nicht die Wahrheit sein.
Nein, nein mein Herr. das ist die Wirklichkeit.
Was bilden sie sich eigentlich ein, herrschte ich ihn an, ihr Zynismus ist unerträglich.
Mein Zynismus, wie sie sagen, macht alles erst ertragbar. Ich bin der Kitt,
der alles zusammenhält, ich bin der Lehm in ihrem Mauerwerk, die Triebfeder
für das Lebenswerk - das ist die Wahrheit und das Sterben.
Sie spucken dem Leben ins Gesicht, sie verachten das Leben, sie verachten die
Jugend, die hofft auf ein neues Leben, nach ihrem Tod.
Halt's Maul, Unwissender! Was ist sie denn, ihre Jugend, ohne mich? Ein hilfloser
Krüppel, eine bedürftige Kurzatmigkeit. Ich zeige der Jugend ihre Schuld und
gemahne sie zur Erkenntnis ihrer Grenzen. Ich bin ihre Sühne. Ich bin der Stachel
in ihrem Unschuldsherzen und der Glaube an ihre Schuld. Ich bin der Herrgott,
der herrgottgewollt ist. Ich gebe ihnen den einzigen Sinn für ihr Sterben. Was
bekomme ich dafür? - Hoffnung! Hoffnung ist der Jugend Hohn.
Ich kann nicht mehr, ich will hier raus, stöhnte ich.
Nichts da, werter Herr, wir haben ihnen ein Zimmer eingerichtet. Kommen sie.
Er führte mich hinaus in den Vorraum, vorbei am Vergangenheitsministerium, vorbei
an einem Zimmer mit der Aufschrift "Amt für Seelenheil" zu einer Tür ohne Beschilderung.
Hier ist ihre Kemenate. Fühlen sie sich zuhause.
Es war ein kahler Raum. Ein Schreibtisch, keine Bücher, keine Ordner. Nur ein
Tisch und ein Sessel.
Das kann ich nicht, stammelte ich. Ich hab keine Kraft mehr. Bringen sie mich
hinaus, sank ich in den Sessel.
Wie sie meinen, sagte er und war verschwunden.
War's das. Ich versuchte mich aufzurichten. Zaghaft schlich ich in den Vorraum.
Düster war er und finster. An den Wänden waren schwere Goldrahmen auszunehmen.
Wild pochte meine Lebenspumpe. Ich eilte zur Tür. Schützend schob ich meine
Hand vor das blendende Tageslicht. Die Blumenbeete waren zugefroren. Wieviel
Zeit war nur vergangen? Da saß er, der Zwerg, auf einem Steinsockel, die Füße
lässig in der Luft baumeln lassend. Wütend stürmte ich auf ihn zu. Ich weiß
nicht mehr, was ich ihn nannte, ich weiß nur, ich hätte ihn erwürgen können.
Sie schreien mich an - dabei hätte ich allen Grund dazu, meinte er trocken.
Sie, zitterte meine Stimme in der Kälte.
Jawohl ich. Ich habe auf sie gesetzt. Ich habe mich auf sie verlassen. Eine
Enttäuschung, mein Herr, sie sind eine Enttäuschung.
Was sagen sie, fand ich keine rechten Worte.
Tut nichts mehr zur Sache. Schon zu spät. Sehen sie sich nur an. Mit ihnen ist's
gelaufen. Da ist nicht mehr viel zu machen, das werden sie doch einsehen.
Was soll das heißen - bin in den besten Jahren.
Daß ich nicht lache, mein Herr. Hier, sehen sie, zauberte er einen Spiegel vor
meine Nase.
Ein alter Mann sah mich müde an. Unzählige Furchen gemeißelt ins Gesicht.
Haben sie vielleicht jetzt ein Einsehen?
Ungläubig starrte ich auf den alten Mann in dem Spiegelbild. Hier haben sie
den Spiegel - der Zwerg sprang vom Sockel und schlenderte davon. Es war ein
verdammt kalter Wintertag. Wahrscheinlich haben wir einen neuen Temperaturtiefststand
erreicht. Was mache ich nur hier bei dieser Eiseskälte in der Stadt, wurde ich
von einem Strom kaufwütiger Menschen verschlungen. Noch dazu ist Einkaufsamstag
und ich hasse Einkaufsamstage.
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