Christiane Schwarze
Grau
Grau färbte ab, von Nebelschwaden, Bergwänden, Mäusefellen. Es war klebrig - aber nicht feucht , es haftete feinverstäubt auf meinem Körper. Versuche es durch Abklopfen, Waschen, Wegbürsten zu entfernen, blieben folgenlos. Als ich mit dem Messer große Hautstücke aus meinem Arm schnitt, wurde das herausquellende Blut zu einer grauen Flüssigkeit. Ist etwas abgefärbtes ein Fremdkörper oder verwandelt es sich zum Eigenbestandteil des Selbst? Für mich war es ein Lebensparasit, eine Verurteilung ohne Prozeß und als sich selbst in deinen Augen nur noch Grau spiegelte, drang es in mich ein, wie ein Kontaktgift, das durch die Haut in die Blutbahn aufgenommen wird. Ich taumelte auf den Wegen, die wir gemeinsam abgeschritten hatten, weinte Fragen aus mir heraus und legte mich auf einer Bank nieder. Die Fragen, einmal losgelassen, züngelten und zischten, wanden sich um meinen liegenden Körper, drückten und stießen sich gegenseitig und hielten erst inne, als die Polizei meine erstickte Hülle wegtrug und ein Bestattungsunternehmer sie verbrannte.
Der Rauch, der davon erzählte, daß es mich gegeben hatte, erschien mir wie ein Luftgefährt, ein Wolkenwagen.Ich fühlte, daß ich - wenngleich ohne Gestalt - unbeschädigt war und außer dem klebrigen Graustaub nichts verloren hatte. Langsam sank ich nieder, stand vor der Hütte einer Glasbläserin. Als ich eintrat grub sie gerade mit bloßen Händen ein Loch in den vor ihr liegenden Sand. In dieses Sandbett legte ich mich und wurde alsbald mit heißer Flüssigkeit begossen. Sie stieß mit einem langen Stab in die Glaslava und bließ hinein. Dabei drehte sie das Rohr und streute Metallstäube über den glühenden Brei. Dann schwang sie ihr Werkzeug in der Luft herum, bis sich eine Figur bildete. Diese schillerte, je nach Lichteinfall in den Farben aller Edelsteine. Da das durchscheinende Glas und die Metallstäube mich umhüllten, konnten Nebelschwaden, Bergrücken, Mäusefelle und alles, was selbst grau war oder mich grau machen wollte, sich nicht an mich heften und nicht in mich dringen. Ich ließ mir Zeit, jede Farbe zu betrachten, nannte sie beim Namen, und als genug Sommer und Winter vergangen waren, wurden meine Tage wie schimmernder Opal und meine Nächte wie dunkler Lapislazuli, pyritbestreut.
Da standest du plötzlich
in der Hütte, fragend nach der grauen Gestalt. Als ich beim Blick in deine Augen
nicht wieder zum Schatten wurde, war ich mir selbst genug. Behutsam zerschlug
ich meinen gläsernen Schutz und machte mich auf den Weg.
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