Michaela Seul
Sabrina
Schönen Gruß von Sabrina.
Von wem?
Sabrina! Aus Konstanz.
Ich war nie in Konstanz.
Denken Sie doch mal nach! Sabrina - lange blonde Haare, grüne Katzenaugen, damals
Maskenbildnerin am Stadttheater.
Jetzt reicht's aber! Ich war weder in Konstanz noch kenne ich eine andere Sabrina
als die Hepburn. Ist das klar?
Der Schauspieler wendete sich brüsk von Ricco ab und den beiden Autogrammjägerinnen
zu, die schon eine Weile neben der Bar warteten.
Ricco bestellte einen Whiskey
und trank dann doch nicht.
Als ob man Sabrina vergessen könnte, murmelte er. Und mit so einem Idioten hat
sie gebumst. Er würde keine gute Kritik über das Stück schreiben, beschloß Ricco
und bat den Barkeeper, ihm ein Taxi zu rufen. Zuhause angelangt war er milder
gestimmt, füllte eine Spalte mit Lob für die Nebendarsteller und faxte die Kritik
an die Redaktion.
Am nächsten Abend - er war
mit Sabrina zum Essen verabredet - hatte der hektische Tag in der Redaktion
die Begebenheit verblassen lassen. Wie immer erzählten sie sich, wie sie ihre
Zeit ohne einander verbracht hatten. Diesmal war Sabrina an der Reihe. Sie wechselten
sich ab, seit sie festgestellt hatten, daß die Erzählung des zweiten zu kurz
kam. Sabrina war auf einer Vernissage gewesen. Ricco bewunderte ihre Begabung,
Bilder in Geschichten umzusetzen. Beim Dessert erzählte er von der Premiere.
Daß er ein paar Sätze mit dem Star des Abends gewechselt hätte, sagte er. Wie
findest du ihn, fragte Sabrina. Eingebildet, sagte Ricco, und nicht unbedingt
ein Aushängeschild für die Anonymen Alkoholiker.
Sabrina verzog die Mundwinkel und Ricco wechselte das Thema. Sonst würde sie
ihm noch Eifersucht unterstellen. Die hatte keinen Platz in ihrer offenen Beziehung,
auf die Sabrina so viel Wert legte. Ricco legte auch Wert. Auf Sabrina. Außerdem
war das mit dem Schauspieler mindestens fünf Jahre her und er kannte Sabrina
erst seit einigen Monaten.
Schön wars, sagte Ricco
am nächsten Tag zu Konrad aus dem Sportressort, auf die Frage nach dem Abend
mit Sabrina und dachte, daß schön nicht der richtige Ausdruck war. Aufregend
war es. Nach dem Dessert hatte Sabrina seine Hand zwischen ihre Beine geführt.
Sie trug Strapse.
Ohne Höschen.
Einige Wochen darauf bat Konrad Ricco, einen Tennisspieler zu interviewen. Ricco verabscheute Sport, aber Konrad war auch schon für ihn eingesprungen. Zufällig stammte der Tenniscrack aus der gleichen Kleinstadt wie Sabrina. Sie hatten ihn mal zusammen in der Sportschau gesehen und Sabrina hatte ihm die Geschichte von der Schneeballschlacht erzählt.
Ich habe offen gestanden
keine Ahnung von Tennis, sagte Ricco, während er sein Aufnahmegerät auf den
Tisch stellte. Das widersprach zwar allen Regeln, aber der Typ war ihm sympathisch.
Außerdem wollten sie einen Personality-Artikel bringen. Das einzige, das er,
Ricco, vom Tennisstar wüßte, sei eine gewisse Schneeballschlacht, die mit einem
zertrümmerten Kirchenfenster und einem amoklaufenden Priester geendet habe.
Wie bitte?
Die Welt ist klein, lachte Ricco unbefangen. Sabrina!
Sabrina? fragte der Tennisstar.
Sabrina Nemetz, sagte Ricco, aber der Tennisspieler schüttelte den Kopf.
Vielleicht haben Sie es vergessen, sagte Ricco gutmütig, ist ja schon eine Weile
her.
Der Tennisspieler meinte, sein Namensgedächtnis sei - nach seiner Rückhand -
das Beste an ihm und schaute auf die Uhr.
Am nächsten Abend fragte
Ricco Sabrina: Lügst du mich manchmal an?
Nein, sagte sie.
Einige Tage darauf trafen sie sich bei einer Party. Sabrina erzählte eine Geschichte, die Ricco im Entwurf miterlebt hatte. Sie machte einen Krimi daraus. Ricco ertappte sich dabei, die Wirklichkeit gegen ihre Geschichte auszutauschen. Sabrina heimste viel Lachen ein. Ein verspäteter Gast, der nur den Schluß der Geschichte gehört hatte, fragte Ricco nach dem Anfang und er erzählte Sabrinas Version. Während er die Bilder wiederholte, die sie geschaffen hatte, rechtfertigte er sich dafür. Er tat niemand weh mit diesen Ausschmückungen. Außerdem wollte er Sabrina nicht in den Rücken fallen. Und es machte verdammt nochmal Spaß.
Auf der Nachhausefahrt
fragte er sie, warum sie die Geschichte ausgeschmückt hatte.
Aber Ricco, rief sie in nachsichtigem Tonfall, die Leute gehen doch auf eine
Party, um sich zu amüsieren.
Und die Wahrheit? fragte er.
In der Vergangenheit existiert keine Wahrheit, sagte sie.
Da könntest du mir doch dauernd irgend etwas erzählen.
Sabrina lächelte. Könnte ich. Indem ich etwas erzähle, wird es wahr.
Ricco bremste den Wagen. Sie standen mitten auf der Straße. Er drehte sich zu
ihr. Sie lächelte einfach. Unverschämt, fand Ricco.
Ich will doch dich kennenlernen, sagte er. Nicht deine Geschichten. Oder deine
Vorstellung von dir.
Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, höhnte Sabrina. Gibt es das für dich?
Ja, sagte Ricco leise.
Du möchtest also mit mir, nicht aber mit meiner Fantasie leben, faßte Sabrina
schnippisch zusammen.
Ricco verzog das Gesicht zu einer schmerzhaften Grimasse.
Und wenn ich auf der Party gesagt hätte, Leute, ich erzähle Euch jetzt eine
Geschichte, die auf ein paar Tatsachen beruht - was glaubst du, wäre passiert.
Laß die Party, sagte Ricco.
Gut. Dann nimm uns.
Ein Wagen hupte. Während Ricco langsam an den Straßenrand fuhr, bat er für sich:
tu's nicht, Sabrina. Aber sie hatte sich eine Zigarette angezündet und den Rauch
so ausgestoßen, wie sie ihre fetzigen Reden einzuleiten pflegte. Du hattest
noch kein Wort mit mir gewechselt, führte Sabrina aus, da erzähltest du Margit
schon, ich würde dich immer "so" anschauen. Das war deine Wahrheit. Tatsache
ist, daß du mir damals noch nicht mal aufgefallen bist. Du warst einfach irgendeiner
von den Pressefritzen, die nach Premierenfeiern nicht nachhause finden. Irgendein
Pressefritze, wiederholte Ricco.
Sabrina legte ihre Hand auf seinen Arm. Die Berührung tat ihm weh. Soviel Sehnsucht
nach ihr.
Ich habe dich schon auf dem Presseball im Februar gesehen und gehofft, du würdest
mir mal wieder über den Weg laufen, sagte Sabrina.
Ist das wahr.
Nein.
Warum tust du das, fragte er.
Ich könnte dich dort gesehen haben. Vielleicht habe ich dich unbewußt wahrgenommen.
Vielleicht habe ich dich verdrängen müssen, weil du mir gefährlich werden könntest.
Sind das keine Wahrheiten?
Was ist mit dem Schauspieler, fragte Ricco. Seine Stimme zitterte.
Sabrina lachte. Das ist das einzige, was dich interessiert. Ob ich mit ihm geschlafen
habe. Beweisbar. Ob sein Schwanz größer ist als deiner. Nehmen wir an, ich hätte
nicht mit ihm geschlafen, sondern es mir ausgedacht. Nur ausgedacht, würdest
du sagen. Deiner Weltanschauung wäre es egal, ob ich es mir einmal oder hundertmal
vorgestellt oder es aus einer Laune heraus erfunden hätte. Wenn ich es mir aber
hundert mal vorgestellt hätte, wäre es zum Bestandteil meiner Geschichte geworden.
Meiner Vergangenheit. Meiner Persönlichkeit.
Ricco hörte seine Stimme atemlos werden. Damit würdest du mir ein falsches Bild
von dir vermitteln.
Hauptsache, du kriegst ein Bild, das in deine Schubladen paßt, stellte sie trocken
fest.
Sabrina... ich habe mal einen Psychologen interviewt. Der sagte, Menschen die
sich eine Wirklichkeit erfinden, fühlen sich einsam, oder, naja, manchmal ein
bißchen minderwertig.
Sabrina lachte.
Ricco betrachtete sie wie eine Fremde. Es kam ihm so vor, als hätte sie sich
unmerklich in eine andere verwandelt. Oder war sie das schon immer gewesen?
Und er hatte es nicht wahrnehmen wollen.
Was ist denn mit dir los, versuchte er es in versöhnlichem Tonfall, legte seine
Hand auf ihren Arm als könne er die Distanz mit dieser Geste wegschmelzen. Ich
meine... ich will doch nur mit dir zusammensein.
Das ist mir zu wenig, sagte sie.
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